1
Bist Du für mich Natur,
dann lass mich Dein Teil sein.
Bist Du ein Tiger schnur-
los, dann verleib mich ein.
Willst Du heut mal kein Tiger sein,
zerkratzen Katzen mir das Bein,
sei jede Katze mir Geschenk,
Du bist näher als ich denk.
2
Bist Du für mich Skulptur,
dann gib mir ein´n Block Lehm,
dann werd ich Bildner nur,
um einmal Dich zu sehn.
Ist die Skulptur mir doch missraten,
muss ich auf Dich noch länger warten,
sei jede Hand mir ein Geschenk,
Du bist näher als ich denk.
3
Bist Du die Mutter, schenk
mir alles Urvertraun,
bist Du der Vater, lenk
mich, lass uns Burgen baun.
Wenn Du auf grauen Wolken thronst,
such ich im Regen, wo Du wohnst,
sei jedes Kind mir ein Geschenk,
Du bist näher als ich denk.
4
Bist Du, was ich in mir
von Dir verinnerlich,
von Deiner Absicht hier
verwirklich und erricht?
Bei Deiner Liebe himmelweit,
bei meiner Unzulänglichkeit
sei jedes Lächeln ein Geschenk,
Du bist näher als ich denk.
5
Bist Du im Glauben, ist
nur meiner einzig wahr,
bist Du im Handeln, bist
Du dann wann ich will da.
Könnt ich für Dich hier Vieles tun,
will ich gerad noch etwas ruhn,
sei jeder Atem mir Geschenk,
Du bist näher als ich denk.
basierend auf Fromm, Erich (2017), Die Kunst des Liebens, Berlin: Ullstein Taschenbuch, 2017, S. 77-97