Isabella Stumpp

Ich bin

Aus drei Quellen speisen sich meine Wasser
wilde See
die meine Herzenswellen wieder und wieder bricht
vor der Morgenröte klarer Mondscheinteich
der meine schlafende Seele tröstlich immer umhüllt
Dämmerungsozean mit nie entdeckten Ufern
zu denen mein Geist aufbricht wie eine rastlose Möwe

Athene

Am Ende eines langen Weges
geradlinig, zäh und ohne Abseits
gesäumt von geehrten Ahnengräbern
hat mich mein Vater aus seinem Schenkel geboren
genährt mit dem steinernem Brot
unwidersprechbaren Wortes
bis meine Lungen stark genug waren zu schreien
dass ich sein Gut und Böse nicht teile
und damit heimatlos wurde
nur mit Gedanken bewaffnet
mich aufmachte
allein zu den allerfernsten Wortgebirgen
wo sich nach eisigen Gespensterwintern
meine zackigen Gipfel zu einer Rundung umspannten
deren Kreis in den Dämmerungshimmel schneidet
Dann wurde es Tag
Ich sagte mein erstes Wort
ein Speerwurf in die Unendlichkeit des Sagbaren
Nicht länger war ich die Tochter meines Vaters
ich habe sein Abbild in vielen Worten neu gegossen
Säulengesichter im Tempel des Kriegsgottes
dem ich die Rüstung abgerungen habe
um treulos eine andere Ehre zu erfinden

Aphrodite

Keine Mutter hat sie geboren
Das Leben selber
wahnsinnige Mänade
gebiert im Zerreißen voll Hingabe ihre Töchter
deren Lenden sich den Männern schenken wie volle Krüge
feuriger Glut auf sommerlichem Abendfeld
zwischen geernteten Blüten und aus der Fülle geschöpftem Blut
damit das Vergehen süß hinabfließt in die stöhnende Kehle
die Ströme des Ursprungs die Furche erfüllen
steigende Flut
mitten im Verderben
das Sterben zu bannen
wenn der Blick sich schon bricht an der Welle des Todes
um Ewigkeit zu schöpfen am Markstein aller Dinge
untröstliches Leid und berauschende Freude
als Vereintes den Unsterblichen zu opfern
Dorthin trägt mich kein Wort
allein der Tanz meiner Füße
die auf nackter Erde gehen
gefesselt mit Schönheit
frei im Vergehen

Artemis

Einzig dort
wo die Wogen gefangener Meere
überlaufen zu silbernen Schlangen
in die Birkenwälder des Vergessens
wohnt die Stille in den Tränenteichen
smaragdener Nereiden
die mich wiegen in der Strömung
unendlich ferner Trauer
spinnenwebenfeiner Freude
weder Mann noch Weib
in Hirschhäute gewickelt
von Adlern begleitet
Wölfe singen mich in den Schlaf
der hundert Jahre währt
derweil eine Sonne aufgeht und versinkt
Der Ruf einer schneeweißen Eule
begleitet meine Jagd
Wurzeln ducken sich unter meinen Füssen
Der Atem verwebt sich mit Morgentau
in dem Rehe äsen
an meiner nie berührten Brust
Unsichtbare Tierpfade führen durch das Dickicht der Baumsäulen
die nie ein Schlachtfeld umgrenzen
nie eine Erntesichel fühlen
Hüterin der Wildnis
zwischen den Welten

Wer bin ich heute
wenn morgen noch nie war
und gestern sich zerströmt hat
wie ein Wasserfall
zu Lichtbogen an meinen fernsten Horizonten

Wenn nach langem Gefecht
aus den Unterwelten
zwischen Häuserschluchten
eingekerkert roh verwüstet
ich meinen zerbrochenen Speer
in den Scherben vergrabe
am jenseitigen Ufer
die lorbeerbekränzten Schemen
in kurzem Siegesrausch aufleuchten
schleppe ich mich hinweg
vom Turnierplatz
den Schatten all meiner Väter folgend
die in den Hallen des Diesseits
raunend die Beute sich zuteilen
nichts ist so vertraut wie ihre Worte
so fremd zugleich wenn der Helm meine Ohren nicht schützt
Nie haben sie bessere Vasallen
als ihre verlorenen Töchter die den Gehorsam weigern
und doch auf denselben Schlachtfeldern sich tummeln
Rücken an Rücken mit ihnen
in ewiger Auflehnung
bis der Schmerz mich bricht
und kein Kreis sich mehr schließt
Wenn dies geschieht, Schwester,
dann sehne ich mich nach deinen kühlen Kissen
in den Tempeln der Freude
nach gefüllten Kelchen
die sich über meine Kehle ergießen
ausgeschüttet von Jünglingen
die uns kaufen mit dem Preis ihres Lebens
die uns vergessen müssen
wenn wir sie erfüllt haben
Ich werde was du bist
und die sommerliche Glut hüllt mich ein
wie die Umarmungen um die sie würfeln
ledig aller Waffen
sinke ich nieder
damit sie meine Glieder ölen
die Narben verblassen
tiefstes Herbstgold malt mir auf die Wangen
die Erfüllung der Liebe
mit dem Einen und Vielen

Wie kann ich immer aufs Neue sein
was nie ich gewesen bin
für immer
oder
nur für einen Flügelschlag des Falken
der keine Spuren hinterlässt

Wenn nach endlosen Nächten
die Lust sich ebbt am Strand meiner Lippen
blutrote Morgenstunde das Vereinte zerreißt
die Knaben hingeworfen wie marmorne Standbilder verblassen
im Nebel des dahin ziehenden Augenblicks
Blut die Erde gesegnet hat und Ströme versickert sind
dann sehe ich in allen Spiegeln
MICH
ein uraltes Weib
an den Weltenbaum geschmiedet
der auflodert um mit Aschenregen niederzuschneien
Alle meine Kinder sind in die Welten zerstoben wie Rabenschwärme
ich hülle mich in die Fetzen meines Sonnengeflechts
und warte auf das Nichts
an einem Ort
wo schwarz verhüllte Klageweiber meinen Untergang künden
wortloses Schreien
das den Sturm aufbringt und alle Frucht vernichtet
Wenn dieses Beben meine Glieder zerreißt
sehne ich mich nach deiner Birkenstille
Schwester
Ich gehe nach Hause in deinen Frühling
und treibe an heiligem Ort eine einzige Blüte
Ein Kind werde ich
herangetragen auf den Schwingen eines Schmetterlings
mädchenweiche Locken und Hasenpfoten
spielen in Wind des schnellen Laufs
mit den Silberglocken des Bachs um die Wette
Der Flügelschlag wilder Tauben trocknet meine Tränen
im Sommerabendwind
und ich bleibe
bis knisterndes Laub mich deckt
für die tiefste Nacht der Flocken
eingebettet in die große Wende des Gestirns

Wie kann ich den ewigen Augenblick festhalten
wo ich ruhe wie ein Stein
zwischen allen Fluten
wenn Wind ich werde
davon getrieben
zu fernsten Gestaden

Wenn mit einem Mal
der Zauber bricht
das Reh verendet unter dem Hagel der Pfeile
Moos verdurstet im Flammenmeer
der Schleier der Wälder zerrissen
mit gebrochenem Flügel zur Erde fällt
mein Blut die Quellen füllt mit jedem Mond
meine kleine Sonne versinkt in kahlem Herbstgrau
kein seeblauer Wolkenhimmel mich mehr schützend birgt
meine Ohren dröhnen vom Stöhnen eines Draußen
das über mich hinwegrollt wie ein Sturm von Gezeiten

Dann, Schwester, bleibt mir nichts mehr
als am Rande der Welten
die uralte Maske auszugraben
die Lanze am Felsen der Scheidewand zu schärfen
und in die schwarze Zukunft hineinzureiten
wo donnernd die Heere auf dem Wege sind
in die niemals endende Schlacht

Wie ein heimatloses Schiff
umkreise ich alle Erden
meine Bugwelle trägt das Noch Nicht Gewesene vor mir her
das zu erreichen
all mein Sehnen all mein Leiden trachtet

Einen winzigen Moment
in einer Umarmung
fühle ich das endlos Beständige
Eine lange Ewigkeit
in all den immer fließenden Momenten
bin ICH von DIR nicht mehr getrennt

Alle Suche mündet in den Strom
des Heimkehrens in die Stille
Jede Berührung entfacht
neue Sehnsucht
nach Fernem nach Nahem
nach dem was DU bist
nach dem was ICH bin

Was WIR sein könnten

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